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Adressat und Adressant in antiken Briefen: Rollenkonfigurationen und kommunikative Strategien in griechischer und römischer Epistolographie PDF
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Adressat und Adressant in antiken Briefen Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Susanne Daub, Michael Erler, Dorothee Gall, Ludwig Koenen und Clemens Zintzen Band 382 Adressat und Adressant in antiken Briefen Rollenkonfigurationen und kommunikative Strategien in griechischer und römischer Epistolographie Herausgegeben von Gernot Michael Müller, Sabine Retsch und Johanna Schenk ISBN 978-3-11-067620-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-067630-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-067633-4 ISSN 1616-0452 Library of Congress Cataloging in Publication Control Number: 2019950092 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbib lio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Inhalt Gernot Michael Müller, Sabine Retsch und Johanna Schenk Einleitung | 1 I. Philosophie und Wissensvermittlung im antiken Brief Jan Erik Heßler ἄφθαρτός μοι περιπάτει καὶ ἡμᾶς ἀφθάρτους διανοοῦ Korrespondenz unter gottgleichen Freunden und Lehrbriefe in der Schule Epikurs | 27 Vincenzo Damiani Das Verhältnis zwischen Adressat und Adressant in der Wissensvermittlung Kommunikationsstrategien in Briefproömien und Widmungsbriefen | 49 II. Kommunikative Strategien in den Briefen Ciceros Sabine Retsch (Exil-)Kommunikation unter Brüdern: Cicero, Q. fr. 1,3 | 71 Tobias Dänzer Politik aus der zweiten Reihe: Ciceros Briefe an C. Scribonius Curio (fam. 2,1–7) | 95 III. Zur Funktion von Briefen in der spätrepublikanischen Historiographie Martin Stöckinger Briefe in der Historiographie Strategien schriftlicher Kommunikation bei Caesar und Sallust | 123 VI | Inhalt IV. Briefe in der Literatur der Frühen Kaiserzeit: Zur Konstruktion von Dichterpersona und Adressat bei Horaz und Statius Johannes Zenk Selbstdarstellung und Belehrung Horazens epistula ad Pisones als Beispiel guter und stimmiger Dichtung (Hor. ars 119‒152) | 159 Gregor Bitto Leser in Bcc. Zu den Praefationes von Statius’ Silvae | 181 V. Kommunikationsstrukturen und Rollenkonfigurationen bei Plinius d.J. und bei Lukian Thorsten Fögen Vom Epigramm zur Ekphrasis Zum Topos der brevitas in den Briefen des Jüngeren Plinius | 207 Margot Neger Adressaten und epistularum personae in den Briefen des jüngeren Plinius | 233 Markus Hafner Zur Konstruktion der ‚Lachgemeinschaft‘ in Lukians fiktiven Brief- Fassaden | 253 VI. Biblische Verwendungsweisen des Briefs Andrea Taschl-Erber Identitätspolitische Rhetorik Der Brief „an die Heiligen in Kolossä“ | 279 Inhalt | VII Stephan Witetschek Offenbarung im Brief Zur Medialität der Johannesapokalypse im Kontext neutestamentlicher Epistolographie | 329 VII. Ziele brieflicher Kommunikation im Frühen Christentum und bei den Kirchenvätern Eva Baumkamp Zur Funktion von Briefen in innergemeindlichen Auseinandersetzungen Ein Hilfsgesuch spanischer Bischöfe an die nordafrikanische Kirche Mitte des dritten Jahrhunderts | 359 Marie Revellio Das Zusammenspiel von Adressatencharakteristiken und Literaturzitaten Eine Analyse identitätsstiftender Kommunikationsstrategien in den Briefen des Hieronymus | 381 VIII. Aspekte des spätantiken Briefs zwischen Bildungsdiskursen und Vergangenheitsbezug Christian Fron Der Schüler als Spiegelbild und Kommunikationsgegenstand Kommunikationsstrategien bei der Korrespondenz von Libanios mit Eltern, Familienangehörigen und Fürsprechern in Entwicklungsberichten hinsichtlich seiner μαθηταί | 409 Tabea L. Meurer In scribendo formam vetustatis amplector Vergangenheitsbezüge als Strategie kommunikativer In- und Exklusion in der Korrespondenz des Q. Aurelius Symmachus | 429 VIII | Inhalt IX. Formen und Funktionen von Briefkommunikation im poströmischen Gallien Gernot Michael Müller Faustus von Riez im Gespräch mit Ruricius von Limoges Zur epistolaren Modellierung einer asketischen Lehrer-Schüler-Beziehung im poströmischen Gallien | 453 Johanna Schenk Der Bischof als Rhetor, oder: Wie reagiert man auf ‚rufschädigende Gerüchte‘? Zu Alc. Avit. epist. 57P | 497 Index | 519 Index locorum | 525 Gernot Michael Müller, Sabine Retsch und Johanna Schenk Einleitung I Das Funktionsspektrum des antiken Briefs geht weit darüber hinaus,1 lediglich die „schriftliche Mitteilung von einer realen, historischen Person an eine andere reale, historische Person, die in der Regel zu einer schriftlichen Gegenäußerung auffordert,“2 zu transportieren und damit aus wissenschaftlicher Perspektive eine wertvolle historische Quelle zu bezeichnen.3 Obgleich der antike Brief zwei- felsohne eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Primärquelle für die Ereignisgeschichte der Antike darstellt, erfüllt er darüber hinaus eine Vielzahl weiterer kommunikativer Funktionen, die ihn inhaltlich wie stilistisch zu einer äußerst komplexen Gattung machen. Entsprechend dieser Vielschichtigkeit findet die Epistolographie in praktisch allen altertumswissenschaftlichen Dis- ziplinen von der Klassischen Philologie über die Alte Geschichte und die Archä- ologie bis hin zur neutestamentlichen und patristischen Theologie Beachtung, wobei die vielschichtigen kommunikativen Funktionen des antiken Briefs, wie noch anzudeuten sein wird, erst in jüngerer Zeit stärker in den Fokus der Auf- merksamkeit gerückt sind.4 Reflex seiner gattungsspezifischen Komplexität ist zunächst die Tatsache, dass sich bereits in der Antike eine Theorie des Briefs herausgebildet hat.5 Zu || 1 Die folgenden Ausführungen verstehen sich als exemplarischen Einblick in das Funktions- spektrum des antiken Briefs und seine wissenschaftliche Erforschung, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben will; vgl. ergänzend den ausführlicheren Überblick in G.M. Müller (2018a). 2 W.G. Müller (1994) 61. 3 Vgl. hierzu Cornelius Nepos’ Aussage in seiner Atticus-Vita, wonach ein Leser der Briefe Ciceros in diesen nicht weniger als eine Art Geschichte der späten Republik vorfinde (Nep. Att. 16,2f.): Quamquam eum [sc. Atticum] praecipue dilexit Cicero, ut ne frater quidem ei Quintus carior fuerit aut familiarior. ei rei sunt indicio praeter eos libros, in quibus de eo facit mentionem, qui in uulgus sunt editi, undecim uolumina epistularum, ab consulatu eius usque ad extremum tempus ad Atticum missarum: quae qui legat, non multum desideret historiam contextam eorum temporum. 4 Vgl. Stowers (1986). 5 Einen Überblick über die Brieftheorie sowie über die Gestaltungsformen des antiken Briefs im Allgemeinen geben die einschlägigen Lexikonartikel von Dziatzko (1897), Sykutris (1931), https://doi.org/10.1515/9783110676303-001 2 | Gernot Michael Müller, Sabine Retsch und Johanna Schenk nennen sind hier exemplarisch die einschlägigen Kapitel in Demetrios’ rhetori- schem Traktat De elocutione6 sowie die Kapitel De sermocinatione und De epistu- lis am Ende der Ars rhetorica des Julius Victor aus dem 4. Jh. n. Chr., welche die erste überlieferte systematische Brieftheorie in lateinischer Sprache darstellen.7 Darüber hinaus werden theoretische Überlegungen über den Brief bereits lange vor der Zeitenwende in Exkursen oder Musterbriefen von Briefstellern greifbar: In ihnen finden sich Vorschriften für die formale und inhaltliche Gestaltung von Briefen, welche der zeitgenössischen Praxis entsprungen waren und den Usus des Briefeschreibens widerspiegelten.8 Ihren Niederschlag fand die Brieftheorie außerdem durch entsprechende Reflexionen in den Briefen selbst – etwa bei Cicero und Seneca –, wodurch jene zu weiteren wichtigen Quellen für die Brieftheorie wurden.9 Sodann fanden elementare Instruktionen für das Schrei- ben von Briefen sogar Eingang in Unterrichtssequenzen der zweiten und dritten Stufe im römischen Bildungssystem, dem Unterricht beim grammaticus und dem Rhetoriklehrer, wobei sich deren Interesse in erster Linie auf die Wahl des hinsichtlich Adressat oder Situation adäquaten Stils eines Briefs konzentrierte.10 In der Theorie wurde der Brief zunächst als ‚Gespräch unter Abwesenden‘11 oder als ‚halbierter Dialog‘12 bezeichnet. Durch die Wesensverwandtschaft mit dem mündlichen Gespräch kristallisierten sich folgende formale, stilistische und sprachliche Charakteristika des antiken Briefs heraus: angemessene Kürze, Klarheit des Ausdrucks, Orientierung am Umgangston der Gebildeten sowie unaufdringliche Eleganz hinsichtlich des rhetorischen Schmucks. Dem Brief || Schneider (1954), Kytzler (1965), W.G. Müller (1994), Görgemanns (1997), Görgemanns/Zelzer (1997) und Schmidt (1997). 6 Demetr. Eloc. 223–235. 7 S. hierzu Celentano (1994); für einen Überblick über die brieftheoretische Literatur der Anti- ke vgl. Malherbe (1988) und Poster (2007a). 8 Vgl. Nickisch (1994), Sp. 76–86. 9 So unterscheidet Cicero beispielsweise in einem Brief an Curio zwischen heiteren und erns- ten Spielarten des Briefs (fam. 2,4,1): reliqua sunt epistularum genera duo, quae me magno opere delectant: unum familiare et iocosum, altertum severum et grave. 10 S. hierzu Nickisch (1994) 77; Schmidt (1997) 772; zum Zusammenhang zwischen Schulun- terricht und Briefstil vgl. Bauer (2011) 98–100; zum Verhältnis von Briefstil und Rhetorik vgl. Malherbe (1988). 11 Z. B. Cic. Phil. 2,4,7: amicorum conloquia absentium; vgl. allgemein zur Verwendung dieses Motivs bei Cicero die Beiträge in Garcea (2003) sowie mit Blick auf die lateinische Epistologra- phie des 1. Jh.s v. Chr. und des 1. Jh.s n. Chr. insgesamt Corbinelli (2008). 12 S. Demetr. Eloc. 223: […] εἶναι γὰρ τὴν ἐπιστολὴν οἶον τὸ ἕτερον μέρος τοῦ διαλόγου.