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Legasthenie: Geschichte und Folgen einer Pathologisierung PDF

pages255 Pages
release year1991
file size19.563 MB
languageGerman

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Doris Bühler-Niederberger, Legasthenie Doris Bühler-Niederberger Legasthenie Geschichte und Folgen einer Pathologisierung Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1991 Für meinen Sohn Aurel, der mich für die Beschäftigung mit Kindheit motivierte und davon immer wieder abgehalten hat. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Bühler-Niederberger, Doris: Legasthenie: Geschichte und und Folgen einer Pathologisierung / Doris Bühler-Niederberger. ISBN 978-3-8100-0897-8 ISBN 978-3-663-10635-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10635-7 © 1991 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske+Budrich,Opladen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafuar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt 1 Einleitung: Professionelle Ansprüche an die Kindheit 1 2 Abweichungsraten: Statistischer Einstieg ins Thema 2.1 Steigende Abweichungsraten 18 2.2 Ein misslungener Ansatz: Die Suche nach einem objektivierbaren Bedarf 21 2.3 Bedeutung der Ergebnisse für die folgende Untersuchung 27 J Problemkonstruktion und Expertisierung - theoretisches Modell 32 3.1 Der konstruktive Charakter sozialer Probleme 32 1. Sozialpsychologie devianzbegründender Interak- tion -35; 2. Soziologie der Devianzkategorien - die "constructionist view" -36 3.2 Problemkonstruktionen und ihre Naturgeschichte 43 3.3 Problemkonstruktion als Expertenunternehmen - Basis und Prozesse der Professionalisierung 47 3.4 Institution und Interaktion: Die Mesoebene der Analyse 64 3.5 Die Bedingungen der Schule 73 4 Naturgeschichte einer neuen Sensitivität für Devianz - Von Schulproblemen zum Screening 79 4.1 "Zuerst kam die Legasthenie ... " 80 4.2 Die Vorgeschichte des Unternehmens 82 1. Institutionelle Reaktionen auf abweichendes Schülerverhalten - 82; 2. Die Gründung schul- psychologischer Dienste - 83 4.3 Die wissenschaftliche Konstruktion der Legasthenie 90 1. Geschichte und Konsolidierung des Legasthenie- konzeptes - 91; 2. Falsifikation zentraler Annahmen des Legastheniekonzeptes - 97; 3. Des Rätsels über- raschende Lösung und der professionelle Freiraum: Vorteile des alten Legastheniekonzeptes -105 4.4 Die erste Phase eines defmitorischen Unternehmens: Der spektakuläre Fall 109 1. Besonderes Angebot, materieller Gewinnstand und professionelle Strategie -110; 2. Unbeliebte Sonder- klassen -114; 3. Die Legasthenie kommt wie gerufen: erste, "fallweise" Inanspruchnahme -118; 4. Gefahren für das Unternehmen - Adaptation und Generalisierung -128; 5. Behördenbeschlüsse: Nicht-Entscheidungen und Missverständnis -127; 6. Realisierung: Der Deu- tungsnotstand verleiht Glaubwürdigkeit -133 4.5 Die zweite Phase: Sensitivität für das Problem 134 1. Inanspruchnahme und Generalisierung: Das Pro- blem verdient Beachtung -134; 2.Institutionalisierung: Zuweisungsverjahren und doppelte Norm -143; 3. Be- sonderes Angebot und Autonomie der Schulp sychologen -155; 4. Adaptation: Legasthenie bleibt eine Krankheit -163; 5. Realisierung - Selbstverständlichkeit und Zweijel-167; 6. Analoge Kategorienfolgen: Dyskalku- lie und psychomotorische Störungen -173; 7. Professio- neller Gewinn: Autonome Thematisierung -181 4.6 Die dritte Phase: Die Expertenangelegenheit 187 1. Inanspruchnahme: Überforderte Laien und Rekru- tierung durch Experten -187; 2. Adaptation und Ge- neralisierung - Bausteine höchstmöglicher Devianzra- ten -195; 3.Institutionalisierung: Steuerung der In- anspruchnahme über das Anstellungsverhältnis -197; 4. Realisierung: Vertrauen als Handlungsbasis und Mangel-203; 5. Professioneller Gewinn: Autonomie und Rivalität - 207 5 Schluss: Unbegrenzte Möglichkeiten der Konstruktion von Wirklichkeit? 211 6 Anhang 224 6.1 Übersicht über die verschiedenen Erhebungen 224 6.2. Auswahl der 19 Gemeinden - Diskriminanzanalyse 225 6.3 Qualitative Interviews: Erhebung und Auswertung 227 6.3 Detailkommentar zur Übersicht 3; Kapitel 5 235 7 Literatur 238 Einleitung 1 1 Einleitung: Professionelle Ansprüche an die Kindheit Das Aufkommen der Legasthenie als diagnostische Kategorie hatte weit reichende Konsequenzen für den Umgang mit kindlichem Verhalten. Das ist jedenfalls die Behauptung, die ich hier vertreten werde. Neuen Be rufsgruppen wurde der Zugang zu einem immensen Reservoir von Fällen geöffnet: dem Reservoir der Schule. Diese Berufsgruppen hielten dann weitere Kategorien bereit, zum Beispiel die Dyskalkulie, die psychomo torischen Störungen und verschiedene Kategorien, die unter dem Begriff Teilleistungsschwächen oder Wahrnehmungsstörungen bekannt gewor den sind. All diese Kategorien wurden stark neuropsychologisch gefasst und verwiesen so wiederum auf weitere: auf die Hyperkinese und auf die Minimale Cerebrale Dysfunktion (respektive auf deren schweizerisches Äquivalent, das Psychoorganische Syndrom). Die Zahl psychologisch begutachteter und therapeutisch behandelter Kinder stieg entsprechend an. In dieser Untersuchung waren es an verschiedenen Stichtagen mehr als zehn Prozent der Kinder, die in therapeutischer Behandlung standen. Dabei wurden lediglich die Therapien berücksichtigt, wie sie im Rahmen der Schule angeordnet und durchgeführt wurden. Man kann auf dieser Basis die Zahl von Kinder schätzen, die irgendwann im Laufe ihrer ge samten Primarschulzeit eine Therapie erhalten: Zwanzig bis dreissig Pro zent der Kinder dürften es sein - das ist vorsichtig geschätzt. Auf der Suche nach einem Begriff, mit dem man das ganze Geschehen belegen könnte, kann man von einer Pathologisierung respektive einer Klientifi zierung im Umgang mit kindlichen Problemen sprechen, ja sogar von ei ner Pathologisierung der Kindheit überhaupt. Letzteres rechtfertigt sich, wenn man das Ausmass, das diese Entwicklung angenommen hat, die Anzahl erfasster Fälle, in Rechnung stellt. Wenn Diskussionen über die unübersehbar wachsende Zahl kindli cher Störungen geführt werden, dann werden sie meist als Diskussionen über die Ursachen geführt. Massenmedien, und darin auch die Beiträge von Angehörigen wissenschaftlicher Berufe, pflegen diese in Zeiter scheinungen oder angeblichen Zeiterscheinungen zu suchen. Es ist ein ganzer Bogen zeitgenössischer Übel, der da argumentativ aufgespannt wird, von Konsum, Hektik, Stress, Fernsehen, Umweltzerstörung, bis zur Destabilisierung der Familien, Drogenkonsum, Jugend-und Kinder problemen jeder Art. Diese Argumentation ist nur allzu bekannt. Sie un terstellt, dass Störungen im Vormarsch seien, dass sich das kindliche 2 Professionelle Ansprüche an die Kindheit Verhalten "objektiv" verändert habe, und es wird einiges investiert in die Untermauerung dieser Behauptung. Mit der Frage, ob sich das kindliche Verhalten geändert hat oder nicht, will ich mich hier nur am Rande befassen. Ich gehe davon aus, dass dies keineswegs entscheidend ist für die Art, wie dieses Verhalten abgehandelt wird. Zur Rechtfertigung dieser Annahme soll vorerst nur einmal angeführt werden, dass die Klage über die sinkende Qualität des Nachwuchses zu den ältesten Aussagen besorgter Erzieher gehört. Man hat es hier wieder einmal mit einer Erscheinung zu tun, die sich bis zu den alten Griechen zurückverfolgen lässt, und man kann sich in Anbe tracht der Konstanz, mit der die Klage vorgetragen wurde, nur wundem, weshalb der Gang der menschlichen Entwicklung von den Jägern und Sammlern der Urzeit zu einer hochzivilisierten, technisch leistungsfähi gen Gesellschaft führte - das Gegenteil wäre zu erwarten.1 Dieses Buch befasst sich vielmehr ganz direkt mit der Frage, wie kindliches Verhalten abgehandelt wird, welche Denkmuster also für seine Deutung und den Umgang damit in Anspruch genommen werden und wie diese Deutungsmuster ihrerseits erzeugt werden und Anerkennung finden. Es befasst sich damit, wie dieses Verhalten indexiert wird. Will man dieser Frage systematisch und mit dem Interesse an der Pa thologisierung nachgehen, dann sollte man sich zunächst mit den Wis senschaften befassen. Von den Wissenschaftlern werden problematische Zustände als Krankheiten oder Störungen "entdeckt". Vielleicht erfor schen die Wissenschaftler Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten, vielleicht beschreiben sie das Problem nur und grenzen es gegen andere Probleme ab, ziemlich sicher - das ist das wissenschaftliche Minimalpro gramm - belegen sie es mit einem wissenschaftlichen Begriff. Man kann sagen: Sie erarbeiten eine Störungskategorie, ein Deutungsmuster mit wissenschaftlichem Qualitätsausweis. Wenn die Erkenntnisse der Wis senschaft umstandslos aus einer vorgegebenen Realität resultieren wür den, gäbe es dazu nicht viel zu sagen. Aber die Wissenschaftler müssen ihre Beobachtungen interpretieren, sie müssen sich ein Bild zurechtlegen, und das tun sie im Kontakt mit anderen Wissenschaftlern und in einer wissenschaftlichen Tradition. Sie stützen sich dabei auch auf allgemein akzeptierte gesellschaftliche Deutungsvorgaben: So setzt die Entdeckung von Krankheiten oder Störungen meist bei solchen Zuständen an, die zu vor schon von Laien als problematisch identifiziert wurden. Die Störungskategorie kann von praktizierenden Beru!sgruppen in Anspruch genommen werden, zum Beispiel von praktizierenden Arzten oder Psychologen oder anderen Berufsgruppen; es kann auch sein, dass Für eine amüsante Sammlung solcher Klagen vgl. Keller (1989). Einleitung 3 sich bestimmte Institutionen - schon länger bestehende oder eigens dafür gegründete - solche Kategorien und den Umgang damit zu eigen machen. Es wird sich noch zeigen, dass nicht alle Deutungsmuster dieselbe Chan ce haben, von den praktizierenden Experten aufgegriffen zu werden. Mit den praktizierenden Experten hat man sich als nächstes zu befassen. Sie können diese Kategorie mehr oder weniger häufig für die Diagnose von Fällen verwenden und vielleicht erst in besonders problematischen Fällen oder schon in weniger gravierenden darauf zurückgreifen; sie können die Kategorie auch verändern. Sie werden sich - vor allem wenn es sich um noch wenig akzeptierte Berufsgruppen oder Institutionen handelt - auch darum bemühen, die neuen Deutungsmuster strategisch geschickt zum Einsatz zu bringen. Schliesslich hat man sich mit den Laien zu befassen: mit Politikern, Administratoren, Betroffenen. Die Laien können mehr oder weniger ge willt sein, die Kategorie als Diagnose zu akzeptieren. Sie können auch mehr oder weniger gewillt sein, den praktizierenden Experten, die sich die Kategorie zu eigen gemacht haben, Glaubwürdigkeit und einen Ent scheidungsfreiraum zu konzedieren. Vielleicht wird die Kategorie und der Stellenwert, den ihr die Laien zugestehen wollen, auch in behördlichen Erlassen festgeschrieben. Man kann von einer Karriere sprechen, die Störungskategorien eigen ist. Sie verläuft über verschiedene Schritte, und sie wird zwischen ver schiedenen Instanzen ausgehandelt. Ist die Karriere erfolgreich, so ver ändert die Kategorie ihren Charakter: Sie wird von einer erstaunlichen Deutung einer problematischen Situation zu einem selbstverständlichen Programm. Die Kategorie bedarf dann kaum noch der Erklärung und Rechtfertigung, man kann sie mit wenig Aufwand in Anspruch nehmen, und sie strukturiert die Reaktionen, die ihrer Anwendung im konkreten Fall zu folgen haben; und auch diese Reaktionen sind nun selbstver ständlich. Das gilt selbst dort, wo die Kategorie in Situationen in An spruch genommen wird, die zuvor - und das heisst: in Unkenntnis der Kategorie - nicht als problematisch gegolten hätten. Die Kategorie deutet jetzt nämlich nicht nur (bereits) problematische Situationen, sie bestimmt auch, welche Situationen problematisch sind. Das ist der Höhepunkt der Karriere. Die Deutung von Situationen in der Art, wie die Kategorie es verlangt, erscheint als naturgegeben. als "objektiv richtig". Dass bei die sem Stand der Dinge ein geradezu inflationärer Gebrauch der Kategorie möglich wird, leuchtet ein und kann in diesem Buch mit Zahlen belegt werden. Ebenso leuchtet es ein, dass mit neuen Deutungsmustern an einer einmal erfolgreichen Kategorie angeknüpft werden kann. Auch das wird diese Arbeit zeigen. 4 Professionelle Ansprüche an die Kindheit Die Selbstverständlichkeit einer Kategorie ist aber gerade nicht eine Folge ihrer unumstösslichen Richtigkeit. Unabhängig davon, wie ange messen Deutungsmuster sind - ihre Selbstverständlichkeit ist immer ein Produkt konzertierter Handlungen, wie sie einmal erbracht wurden und wie sie tagtäglich neu erbracht werden. Auf dem Höhepunkt ihrer Kar riere gerät diese soziale Entstehungsgeschichte der Kategorie jedoch aus dem Blickfeld. Ein Beispiel kann die Wirkung erfolgreicher Kategorien auf die Betrachter verdeutlichen: Wenn alle von Legasthenie sprechen, wenn diese tagtäglich bei Kindern diagnostiziert und behandelt wird, ohne dass dies noch Anlass zu grossen Auseinandersetzungen gäbe, so wird daraus dann zumindest geschlossen, "dass schon etwas hinter dieser Kategorie steckt". Dieser Schluss ist treffend. Nur hartnäckige Zweifler werden aber das, was hinter einer Kategorie, die als selbstverständlich gehandelt wird, stecken muss, noch als kunstvolle Praktiken identifizie ren, die der Kategorie zu diesem Rang verhalfen; viel eher sichert der Er folg den Glauben an eine Passung zwischen den kindlichen Gehirnen und der heilpädagogischen Dynamik. Mit dem hier skizzierten Interesse an der Karriere von Deutungsmu stern werde ich die Zunahme kindlicher Störungen analysieren. Im Zen trum der Aufmerksamkeit wird die Karriere der Legastheniekategorie ste hen, weil sie exemplarisch ist für die Karriere anderer, vergleichbarer Kategorien und weil dieser Kategorie eine Schlüsselstellung zukam. Einen solchen Zugang wählt man, wenn man sich anstecken liess vom Theoretisieren und Forschen der interpretativen Soziologie. Vertreter die ser Richtung (Ethnomethodologen und soziologische Phänomenologen) haben auf die Handlungen aufmerksam gemacht, mit denen die Gesell schaftsmitglieder den Dingen und sich selbst Bedeutungen zuschreiben und mit denen sie sich stets aufs neue über die Rationalität, ja die absolute Gewissheit einer auf dieser Basis geschaffenen Ordnung versichern, mit denen sie also eine soziale Wirklichkeit konstruieren. Schreibt man die Chronik solch wirklichkeitskonstruierender Handlungsfolgen (wie das in diesem Buch geschehen soll), so lässt man damit die soziale Wirklichkeit als das aufscheinen, was sie eben ist: als ausgehandelte Ordnung2 - und man entzieht ihr jede naturgegebene Legitimation ihrer (jeweiligen) Be schaffenheit. Einige Soziologen haben für diese radikal relativierende Leistung auch schon den Begriff der Dekonstruktion in Anspruch ge- 2 Der Begriff der negotiated order wurde von Strauss und Mitautoren (1964) im Rahmen ihrer Forschung in Hospitälern geprägt; er hat auch Verbreitung gefunden zur Charakterisierung der interpretativen Perspektive überhaupt. Einleitung 5 nommen. Gemeint ist, dass durch Aufzeigen der Konstruktionsgrundla gen der Blick frei wird für eine mögliche Neukonstruktion.3 Die Soziologen haben den interpretativen Ansatz mit einer gewissen Vorliebe auf Erscheinungen im Bereich des abweichenden Verhaltens, (sei es auf Kriminalität oder Krankheit) angewendet und ganz besonders auf den gesellschaftlichen Umgang mit abweichendem Verhalten. Die Präferenz leuchtet ein, zum einen, weil ordnungskonstruierende Leistun gen besonders gut zu beobachten sind, wo es um die Abgrenzung gegen über ordnungswidrigem Verhalten geht, und zum anderen, weil die Va riabilität dessen, was im Laufe der Zeit oder über verschiedene Gesell schaften hinweg - ja selbst im Vergleich verschiedener sozialer Grup pierungen einer Gesellschaft - als abweichend galt (eingeschlossen die soziale Reaktion darauf), eine relativistische Sichtweise geradezu heraus fordert.4 Ausgerüstet mit dem Instrumentarium des interpretativen Ansat zes wird man jedenfalls Berichte über steigende Abweichungsraten und öffentliche Diskussionen über deren Ursachen nicht mehr einfach als Quellen möglicher Erkenntnis über "wirklich" deviante Eigenarten und Ursachen kindlichen Verhaltens betrachten; man nähert sich ihnen als Quellen der Erkenntnis über die konstruktiven Akte und konstruierenden Akteure. Will man die ganze Sache noch (konflikttheoretisch) zuspitzen, kann man sie auch als Propaganda zuständiger Agenturen und Agenten in eigener (berufs- oder agenturpolitischer) Sache betrachten, mit der sie ihre Sicht der Dinge anderen sozialen Gruppen aufdrängen. Nicht allein die eigenen Interessen von Agenturen und Berufen, welche Abweichung bearbeiten, rufen die interpretativen Soziologen auf den Plan. (Obschon es vielleicht strategisch geschickt wäre, auf diesem Punkt zu insistieren. Denn der Verdacht der "Arbeitsbeschaffung", der im Zusammenhang mit der Behandlung kindlicher Störungen nicht selten im Raume schwebt, ist am allerbesten geeignet, die Selbstverständlichkeit neuer Störungskategorien brüchig werden zu lassen.) Vielleicht miss gönnen die Soziologen den anderen zwar den Anteil am jeweiligen Ge schäft; das sollte man nicht ausschliessen, vor allem in Anbetracht der eigenen Erfolglosigkeit, die sie gerade dann zu verbuchen haben dürften, wenn sie die konstruierte Normalität dekonstruieren wollen oder sich ihr jedenfalls nicht bedingungslos verpflichtet zeigen. Es können jedoch an dere Bedenken gegen die Konstruktion neuer Kategorien kindlicher Ab weichung und wachsende Abweichungsraten angeführt werden. 3 V g1. etwa Pfohl und Gordon (1986). Sie haben diesen Begriff beim französischen Philosophiekritiker Jacques Derrida entlehnt. 4 Die Variabilität zeigt sich eindrücklich in den Untersuchungen, die in einer con structionist view o[ social problems durchgeführt wurden (vg1. Kapitel 3).

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