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Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts PDF
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BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZV LEIPZIG Philologisch-historische Klasse Band 100 • Heft 2 MARTIN LINTZEL Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts 19 5 3 A K A D E M I E - V E R L AG • B E R L IN Vorgelegt in der Sitzung vom 17. März 1952 Manuskript eingeliefert am 29. Mai 1952 Druckfertig erklärt am 7. Februar 1953 Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Veröffentlicht unter der Lizenz-Nr. 1217 des Amtes für Literatur und Verlagswesen der Deutschen Demokratischen Bepublik Satz und Druck: Druckerei Fortschritt, Erfurt, Zweigbetrieb Bestell- und Verlagsnummer: 2026/100/2 Preis: Dil 6,60 Vorwort Von den folgenden Aufsätzen stehen nur die ersten vier in einem engem inhaltlichen Zusammenhang; die übrigen sind mit ihnen und untereinander wenig oder gar nicht verwandt: das Ganze scheint also eine ziemlich bunte Mischung von heterogenen Elementen zu sein. Doch werden die sieben Aufsätze trotz ihres verschiedenartigen Inhalts durch so etwas wie eine gemeinsame Absicht und Tendenz zusammengehalten, nämlich durch die Ab- sicht der Kritik an einer, wie mir scheint, nicht berechtigten Haltung gegenüber den Grundlagen unsrer geschichtlichen Er- kenntnis, gegenüber den Quellen — eine Haltung, die man etwas grob als Neigung zur Kritiklosigkeit bezeichnen kann. Wenn ich in den folgenden Untersuchungen mit einiger Umständlichkeit und Überausführlichkeit, meinetwegen auch Hartnäckigkeit, Fragen behandle, von denen manche in der letzten Zeit bereits öfter und gründlich erörtert worden sind, so liegt dem vor allem der Wunsch zugrunde, mich mit dieser methodischen Seite der Sache auseinanderzusetzen: das jedenfalls ist mir beinahe wich- tiger als die Gegenstände selbst, mit denen sich meine Unter- suchungen beschäftigen. Daß ich diese Gegenstände darum nicht für belanglos halte, brauche ich wohl nicht zu betonen; daß sie es nicht sind, dürfte sich schon allein eben daraus ergeben, daß man sich neuerdings so häufig mit ihnen befaßt hat. Und im übrigen hoffe ich, man merkt, daß die Kritik, die ich in meinen Aufsätzen äußere, alles andere als Selbstzweck ist. Es liegt an der Beschaffenheit unsrer Quellen, daß in der Lite- ratur über sehr viele Erscheinungen der frühmittelalterlichen Geschichte sehr verschiedene und einander widersprechende An- sichten existieren. Der einzelne Forscher pflegt sich dabei im all- gemeinen für eine dieser Ansichten zu entscheiden und die anderen zu verwerfen. Von diesem Verfahren weiche ich im folgenden grundsätzlich vielfach ab. Selbstverständlich wird man immer eine l* 4 Vorwort eindeutige Entscheidung suchen, und das tue ich im folgenden auch. Aber man muß dabei zusehen, wieweit es überhaupt mög- lich ist, sie zu finden, und jenes Suchen scheint mir häufig in die Irre zu führen, indem es etwas wissen will undu. U.auch zu wissen vorgibt, was man nicht wissen kann. Es scheint mir sehr oft weniger darauf anzukommen, zu sagen, was geschehen ist, als darauf, zu sagen, bis zu welcher Grenze unsere Kenntnisse rei- chen und wo das Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnungen und der mehr oder weniger berechtigten Vermutungen beginnt. Ich glaube, es wäre überhaupt (nicht bloß in den paar Fällen, die im folgenden vorkommen) eine ganz nützliche und ergiebige Tätig- keit, einmal unter den zahlreichen Hypothesen unsrer Forschung aufzuräumen, die sich für sicheres Wissen ausgeben, und zu zeigen, wie es wirkli ch mit ihnen bestellt ist. Unsere geschi chtli chen Kennt- nisse (oder das, was wir dafür halten) würden dadurch im einzel- nen zwar vermutlich verringert, aber unser Urteil dürfte sich erweitern, insofern als wir uns über die Möglichkeiten, die hinter unsrer magern Überlieferung liegen, gerade dadurch klarer werden könnten, daß wir uns nicht auf eine von ihnen festlegen. Wenn ich vorhin von einer gewissen Neigung zur Kritiklosig- keit sprach, so möchte ich doch ausdrücklich betonen, daß ich darin weder das einzige noch das wesentlichste Merkmal unsrer jüngsten Forschung sehe: es liegt mir völlig fern, ihre Verdienste zu verkennen. Vor allem möchte ich das für die Arbeiten von H. Mitteis und F. Rörig hervorheben, mit denen ich mich im fol- genden besonders oft auseinandersetze. Und noch eins. Als ich an diesen Auseinandersetzungen schrieb, waren beide Forscher noch am Leben. Wenn ich gewußt hätte, daß sie mir nicht mehr antworten können, so wären vielleicht einige Formulierungen anders ausgefallen. Trotzdem habe ich an dem ursprünglichen Wortlaut nichts geändert. Für ihre Hilfe beim Lesen der Korrekturen habe ich Fräulein Annerose Schneider zu danken. Halle a. S.. August 1952 M. L. INHALT Seite Vorwort 3 I. Der „Majordomat" Ottos von Sachsen und die Wahl Konrads I. 7 1. Die Fragestellung 7 2. Die Beteiligung der Stämme an der Forchheimer Wahl 9 3. Die Glaubwürdigkeit Widukinds von Korvei 14 4. Der „Majordomat" Ottos von Sachsen 19 5. Das angebliche Thronangebot an Otto von Sachsen 26 6. Die Bedeutung von Ottos „consultus" und die Stellung der deutschen Herzöge bei der Königswahl 30 II. Designation, Königsheil, Wahl und „Kur" Heinrichs 1 34 1. Die Designationsfrage 34 2. Das Königsheil 42 3. Die Wahl 51 4. Die Fritzlarer Wahlhandlung 60 III. Die Wahlen Ottos des Großen 936 65 1. Die Designation 65 2. Die Wahl am unbekannten Ort 74 3. Die Aachener Krönung 77 IV. Die Forschung und die Wahlen von 911, 919 und 936 81 V. Heinricus natus in aula regali 86 VI. Die Herzogserhebung Heinrichs I. und das Kaisertum Ottos des Großen in der Vita Mathildis antiquior 96 1. Die Herzogserhebung Heinrichs 1 96 2. Das Kaisertum Ottos des Großen 101 VII. Der Reichstag von Verona im Jahre 983 108 I. Der „Majordomat" Ottos von Sachsen und die Wahl Konrads I. 1. Die Fragestellung Über die Erhebung Konrads I. zum ostfränkischen König sind wir bekanntlich äußerst dürftig informiert. Die meisten Quellen, die von dem Ereignis überhaupt Notiz nehmen, vermerken weiter nichts als die Tatsache, daß Konrad König wurde, ohne darüber, wie das geschah, ein Wort zu verlieren. Wenigstens etwas über die nähern Umstände seiner Erhebung erfährt man lediglich durch die Annales Alamannici, durch Liudprand von Cremona und durch Widukind von Korvei. Am nächsten stehen den Vorgängen die Annales Alamannici, die etwa gleichzeitig mit den Ereignissen abgefaßt sind. Sie notieren: Chonradus filius Chonradi comitis a Francis et Saxonibus seu Ala- mannis ac Bauguariis rexelectus1). Liudprand von Cremona sagt in der Antapodosis, die er in den fünfziger Jahren des zehnten Jahr- hunderts geschrieben hat: Rex cunctis a populis ordinatur2) (worun- ter er, wie sich aus dem Zusammenhang ergibt, nicht bloß die auch von den Alemannischen Annalen genannten vier rechtsrheinischen Stämme, sondern dazu noch die Lothringer versteht). Und Widu- kind schließlich erzählt in seiner Sachsengeschichte, die entweder Ende der fünfziger oder Ende der sechziger Jahre des zehnten Jahrhunderts entstanden ist3): Omnis populus Francorum atque ») Vgl. SS. I, S. 55. *) Vgl. Antapodosis II, cap. 17, Die Werke Liudprands von Cremona, SS. rer. Germ, in us. schol. (1915), S. 45. ®) Die Datierung der Sachsengeschichte Widukinds ist bekanntlich um- stritten. Gegen den Versuch von H. Bloch, Die Sachsengeschichte Widukinds. 8 Martin Lintzel Saxonum quaerebat Oddoni diadema inponere regni. Ipse vero quasi iam gravior recusabat imperii onus; eius tarnen consuüu Cuonradus quondam dux Francorum ungitur in regem. Penes Oddonem tarnen summum Semper et ubique fiebat imperium1). Soweit ich sehe, sind es vor allem drei Fragen, welche die For- schung im Zusammenhang mit diesen Nachrichten in den letzten Jahrzehnten beschäftigt haben. Einmal die Frage, wieweit die Be- stellung Konrads zum ostfränkischen König das Ende des Karo- lingerreichs östlich des Rheins und den Beginn eines spezifisch deutschen Staates bedeutet; zweitens die Frage, ob an der Er- hebung des neuen Königs sämtliche deutschen Stämme beteiligt waren, wie es die Annales Alamannici und Liudprand behaupten, oder ob diese Erhebung nur von den Franken und Sachsen ausging, wie es aus den Worten Widukinds hervorzugehen scheint; und drittens die Frage, ob man Widukinds Versicherung zu glauben hat, daß die Krone zunächst Otto von Sachsen angeboten, daß er sie abgelehnt und daß man auf seinen consultus hin den Franken- herzog zum König gesalbt habe; und im Zusammenhang mit dieser dritten Frage taucht das Problem auf, was man unter dem consultus Ottos eigentlich zu verstehen und ob man dabei etwa an eine Designation, an eine rechtsverbindliche Handlung oder etwas Ähn- liches zu denken, und schließlich, wie man Widukinds letzten Satz aufzufassen hat, nach dem trotz Konrads Erhebung das summum imperium immer und überall bei Otto gewesen sein soll. von Korvei, Neues Archiv 38 (1913), S. 97 ff., eine erste Fassung des Werkea schon für die Jahre 957/58 nachzuweisen, hat sich E. E. Stengel, Die Ent- stehungszeit der Res gestae Saxonicae und der Kaisergedanke Widukinds von Korvei, Corona Quernea, Festgabe für K. Strecker (1941), S. 136 ff., ge- wandt, indem er Blochs erste Fassung bestreitet und an der älteren Datierung des ganzen Werkes (bis auf den 973 entstandenen Schluß) auf 967/68 festhält. Dagegen habe ich, Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, Sachsen und Anhalt 17 (1943), S. 1 ff., die Blochsche Datierung aufrecht zu erhalten versucht, während jetzt H. Beumann, Widukind von Korvei (1950), bes. S. 178 ff., zu einem definitiven Beweis für. 967/68 zu kommen glaubt. Ich halte den Beweis nicht für geglückt, worauf ich zurückzukommen gedenke. Vgl. Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvei I, cap. 16, SS. rer. Germ, in us. schol., 5. Aufl. (1935), S. 26 f. Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts 9 Es kommt mir im folgenden auf die dritte der genannten Fragen an: Was hat der Sachsenherzog Otto mit der Erhebung Konrads I. zu tun gehabt? Dabei können wir die Frage, wieweit das Königtum des Frankenherzogs mit der Entstehung des deutschen Staates zu- sammenfällt oder zusammenhängt, völlig auf sich beruhen lassen. Dagegen könnte es für das, was uns hier interessiert, nicht unerheb- lich sein, ob Konrad nur von Sachsen und Franken oder ob er auch von den andern rechtsrheinischen Stämmen gewählt worden ist. Damit wollen wir uns zunächst beschäftigen. 2. Die Beteiligung der Stämme an der Forchheimer Wahl Soll man den Worten Widukinds oder denen der Alemannischen Annalen und Liudprands glauben? Das heißt: wurde Konrad nur von den Sachsen und Franken oder auch von den beiden süd- deutschen Stämmen zum König erhoben? Diese Frage hat vor einigen Jahrzehnten H. Breßlau mit Hilfe der Diplome Konrads I. zu lösen versucht1). Aus Konrads Ur- kunden ergibt sich einwandfrei, daß die Erhebung des neuen Königs am 10. November 911 oder kurz vorher in Forchheim er- folgt ist. Nun erscheint in seinem ersten Diplom, das vom 10. No- vember datiert und eben in Forchheim ausgestellt wurde, als Erz- kanzler (oder vielmehr als Erzkaplan) der Erzbischof Hatto von Mainz2). Im zweiten aber, ausgestellt am 11. Januar 912 in der schwäbischen Pfalz Bodman, figuriert als Erzkanzler der Erz- bischof Pilgrim von Salzburg3). Der Salzburger Metropolit, und nicht etwa Hatto, war bereits unter Ludwig dem Kind Erzkanzler gewesen, und er blieb es unter Konrad I. spätestens vom 11. Ja- nuar 912 an bis zum Ende von dessen Regierung. Für diesen Tat- bestand gab Breßlau die offenbar naheliegende Erklärung, daß in Vgl. H. Breßlau, Aufgaben mittelalterlicher Quellenforschung, Straß- burger Universitätsrede 1904, S. 30 ff.; ders., Die ältere Salzburger Annalistik, Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1923, 2, S. 54. 2) Vgl. DKI1. «) Vgl. DKI2. 10 Martin Lintzel Konrads erster Urkunde Pilgrim deshalb nicht als Erzkanzler auf- tritt, weil er um den 10. November 911 nicht in Forchheim zu- gegen, d. h. Breßlau behauptete, daß Pilgrim an der Wahl des Königs nicht beteiligt war; und das Fernbleiben des Salzburger Erzbischofs betrachtete er als einen Beweis oder mindestens als ein Anzeichen dafür, daß der ganze bayrische Stamm sich von der Forchheimer Wahl fernhielt — ein Ergebnis, mit dem Widukinds Worte glücklich zu harmonieren schienen. Diesen Worten ent- sprechend schloß Breßlau denn auch noch weiter, daß nicht bloß die Bayern sondern auch die Schwaben mit der Wahl in Forchheim nichts zu tun hatten. Daß zwei Monate später Pilgrim seine alte Erzkanzlerwürde doch wieder innehatte, erklärte Breßlau damit, daß inzwischen er und der bayrische Episkopat, höchstwahrschein- lich überhaupt der ganze bayrische Stamm (und auch die Schwa- ben) den neuen König anerkannt hatten1). Nun ist es keine Frage, daß gegen diese Überlegungen und Resultate die Angaben der Alemannischen Annalen und Liud- prands keinen ernsthaften Einwand bedeuten. Liudprand ist für die ersten Jahrzehnte des zehnten Jahrhunderts ein sehr zweifel- hafter Gewährsmann, und daß seine Auskünfte über die Vorgänge von 911 besonders fragwürdig sind, ergibt sich daraus, daß er ganz unzweifelhaft falsch die Lothringer an der Wahl Konrads beteiligt sein läßt. Im übrigen aber brauchen sowohl seine Worte von den cuncti populi wie die der Annales Alamannici von den vier rechts- rheinischen Stämmen, die Konrad wählten, nicht zu besagen, daß die Erhebung des Königs durch die deutschen Stämme auf einmal, zum gleichen Zeitpunkt und am gleichen Orte, erfolgte. Aus dem Wortlaut beider Quellen ergibt sich weiter nichts, als daß der Frankenherzog von den rechtsrheinischen Stämmen überhaupt Die in der Straßburger Universitätsrede 1904 aufgestellte Behauptung, der Herzog Arnulf von Bayern habe Konrad nie anerkannt, nimmt Breßlau in der Akademieabhandlung 1923 wieder zurück, indem er darauf hinweist, daß in dem Diplom vom 5. März 912 (DKI 3) offenbar Herzog Arnulf als Intervenient auftritt und daß ein offener Konflikt zwischen ihm und dem König erst 916 nachzuweisen ist.